Queer schreiben: Über Chancen und Herausforderungen queerer Repräsentation

Es ist Pridemonth und ich widme mich dem Thema Queerness in der Fantasy. In einem ersten Artikel habe ich über queere Verlage und Sinn und Zweck der Übung geschrieben. Als Autorin muss ich mir bei der Repräsentation queerer Figuren auch selbst an die Nase fassen: Wie steht es also um queere Figuren in meinen Geschichten?

Queer schreiben als nicht-queere Person – Gedanken einer weißen Hetero-Person mit Uterus

Am Anfang war die Ignoranz. Die wurde mir bewusst. Dann kam der Konflikt: In meinen ersten Entwürfen habe ich das Thema „Queerness“ schlicht und ergreifend ausgeblendet. Ignoriert.

Nicht aus Arroganz oder Ignoranz.

Mein innerer Schreibantrieb resultiert nicht aus einem politischen Schreiben, sondern dem Bestreben, eine packende Fantasy-Geschichte zu schreiben.

Deshalb hatte ich das Thema als binäre Heteroperson schlicht und ergreifend nicht auf dem Schirm. Also doch Ignoranz, aber nicht bösartige, sondern unbewusste.

Dass das Schreiben non-binärer Figuren und Themen eine politische Komponente hat, ist obendrein der Skandal, denn eigentlich sollte es nicht politisch, sondern selbstverständlich sein. Leider hat die CDU das 2025 auch noch nicht kapiert und die Regenbogenfahne zum CSD wegen eines recht scheinheilig argumentierten „Neutralitätsgebots“ abgeschafft (Quelle und hier ein Kommentar dazu). *hust* Ich sage nur: Wehret den Anfängen! Ich bin entsetzt über diese Entscheidung, ganz besonders in diesem Jahr, wo es mehr als sonst gilt, sich für die Rechte aller einzusetzen, ganz egal, wen sie lieben.

Wie anfangen? Gedanken einer Autorin

Als Autorin will ich das Thema also ernst nehmen. Aber als Nicht-Betroffene ist der Anfang gar nicht so leicht.

Ich hatte schon die ein oder andere queere Figur im Kopf, aber anfangs war das alles sehr grob und vage und ich war mir der politischen Dimension gar nicht so bewusst. Das Bewusstsein dafür kam erst mit dem Austausch innerhalb der (sehr bunten) Buchbubble auf Instagram und mit den politischen Entwicklungen aktuell in Amerika und den Anfeindungen hierzulande im Rahmen einer erstarkenden, rechtsnationalen Gruppierung.

Es kam eine gewisse Verunsicherung auf, denn wie soll ich als weiße Heterofrau queere Charaktere erschaffen, wo ja gleichzeitig viele Menschen auf „own voice“ pochen? Dasselbe Problem begegnet mir bei Person-of-Colour-Figuren.

Wenn man sich auf den Diskurs einlässt, bringe ich als weiße Heterofrau einen internalisierten Rassismus und Sexismus mit und bin im Grunde die Letzte, die sich äußern sollte, egal wie gut ich es meine. Ich kann nicht einmal von mir behaupten, dass ich über alle Vorurteile erhaben bin, denn das Problem ist ja, dass man die so sehr verinnerlicht hat, dass sie einem gar nicht auffallen.

Dies schicke ich mal zu meiner Entlastung vorweg, denn ich arbeite auf jeden Fall daran und versuche, eine für alle adäquate Lösung zu finden, sofern das überhaupt möglich ist. Meine Botschaft ist Toleranz.

Wie setze ich das nun in meinen Geschichten um, ohne dass es gleichzeitig zu künstlich und zu aufgesetzt klingt? Ich bemühe ich mich um einen goldenen Mittelweg. Speziell mein erster Trilogieband „George und Deborah“ setzt sich zentral mit Deborah und ihrem Konflikt als Mutter auseinander – da bleibt ehrlich gesagt wenig Raum für einen queeren Subplot.

Queer schreiben mit der Queer-Quote?

Viele meiner Darkadier sind bisexuell, und ich habe auch homosexuelle Figuren in meinem Cast. Mit Transsexualität tu ich mich noch schwer, sie unterzubringen, aber das Darkadium ist groß – wenn eine solche Figur bisher nicht auftritt, soll das nicht Ausdruck meiner Ignoranz sein, sondern heißt lediglich, dass eine solche Figur NOCH nicht dabei ist. Ich denke da wirklich viel drüber nach; in aktuellen Projekten habe ich aber keine Transfigur (, dafür Werwölfe).

Ich habe KEINEN Besetzungsplan in dem Sinne, dass unbedingt eine Frau, eine schwarze Figur, eine Bi- und eine Homofigur, usw. in meinen Geschichten auftreten müssen, also keine „Queer-Quote„. Ich arbeite bei aller Organisationsliebe nicht nach einem Masterplan, aber ich habe schon Figuren im Nachhinein homo- oder bisexualisiert, um mehr Vielfalt zu schaffen. Auch das ist dann ein willkürlicher Vorgang und vielleicht doch ne Quote – aber bevor ich mich wegen solcher Fragen zerfleische, arbeite ich dann lieber an meiner Geschichte weiter.

Grundsätzlich bildet das Darkadium u.a. auch eine Familiensaga ab, in der die Geschichte von zwei Generationen erzählt wird. Dazu ist traditionelle Fortpflanzung vonnöten – auch dies ist eine Herausforderung, zusätzlich den Raum für queere Figuren zu erschaffen, damit sie nicht das Dasein des schwulen besten Freundes der Hauptfigur fristen. Über Stereotype habe ich ja hier schon einmal geschrieben. Da ging es um weibliche Stereotype, aber das Problem der Stereotyp-Falle trifft auch auf jede andere, marginalisierte Gruppe zu. Schwule fristeten in der Vergangenheit gern ein Dasein als bester Freund der Hauptfigur, ohne dabei eine eigene Persönlichkeit zu entwickeln.

Eine „Coming-Out“-Story passt nicht so wirklich ins Darkadium, weil ich das Thema eher als „casual queerness“ behandle. Es ist normal, dass jemand schwul, lesbisch oder bi ist. Ich mache da in meiner Geschichte nicht viel Aufhebens drum. Ich fühle mich auch nicht berufen, eine Coming-Out-Geschichte zu schreiben, denn das ist ein sehr sensibles Thema, von dem ich denke, dass Betroffene das wirklich viel besser können als ich zu diesem Zeitpunkt.

Plot-Chancen durch queere Figuren

Jetzt will ich nicht nur über die Hürden und Herausforderungen schreiben: Queere Figuren eröffnen ganz neue Plotwege und Twists!

An dieser Stelle will ich nicht zu viel verraten, aber ich habe eine zentrale bisexuelle Figur, die im ersten Buch noch als undurchsichtige, zwielichtige Nebenfigur auftritt. Deren Motivation, die mit ihrer bisexuellen Identität zusammenhängt, wird im zweiten Buch enthüllt werden, was, so ist es bisher geplant, den Plot nochmal auf den Kopf stellen wird. Im zweiten Buch wird diese Figur zur Erzählfigur – es ist dramaturgisch wichtig, dass sie nicht vorher als POV-Figur auftritt.

Eine lesbische Figur habe ich mit der pyromanisch veranlagten Werwölfin Abby Blackwood geschaffen. Sie ist die Schwester von Byron Blackwood, der eine tragende Rolle innerhalb der einzelnen Geschichten einnimmt. Abby entstand durch diese Kurzgeschichte, die ich nochmal richtig ausformulieren will, nachdem sie vielen Leser:innen sehr gefallen hat. Sie tritt als krawallträchtige Nebenfigur in einigen Geschichten auf. In Der Kuss der Wolfsnacht bekommt sie eine wichtige Support-Rolle; ich arbeite gerade daran, ihren Subplot stärker einzuflechten, sodass sie mehr ist als die lesbische Schwester des Protagonisten.

Einen schwulen Charakter in einer tragenden Hauptrolle habe ich für die Bethlen-Wölfe geplant, aber ich verrate noch nicht, wer das ist – das würde spoilern.

Weitere schwule Charaktere treten im zweiten Buch auf, was im Rahmen einer politischen Zwangsheirat zwischen einem Werwolf-Stammesanführer und einer darkadischen Prinzessin eine ganz eigene Würze mit sich bringt, da der Bräutigam nun mal schwul und bereits glücklich liiert ist – dies ist, denke ich, ein schönes Beispiel dafür, dass Queerness in Geschichten schöne Plottwists mit sich bringen kann. Es ist auf jeden Fall herrlich, diese Ehe zu schreiben, weil sie auch mit dem Trope der Zwangsheirat, bzw. einer politisch motivierten Vernunftehe spielt.

Als asexuell könnte man am ehesten meinen Antagonist Marten beschreiben, wobei ich mir bei ihm noch nicht sicher bin, ob er asexuell oder nur total verklemmt ist. Auf jeden Fall ist er ein Psychopath, zumindest im ersten Buch. Im zweiten wird auch er zur Erzählfigur.

Bei Marten und auch vielen bisexuellen Figuren taucht ein anderes Problem auf, nämlich die Einteilung in gute und böse Charaktere: Ich möchte natürlich vermeiden, dass die „Bösen“ alle bi- oder homosexuell sind – das wäre ja ein Framing, das genau das Gegenteil dessen erreicht, was ich möchte, nämlich ausgewogene Repräsentation und keine Stereotype.

Du siehst: Es ist schwierig, all diesen Anforderungen gerecht zu werden. Am Ende werden irgendwann die Leser:innen entscheiden, ob es gelungen ist. Mein Interesse als Autorin ist, in erster Linie zu unterhalten, aber auch, eine Gesellschaft zu zeigen, die trotz Differenzen für demokratische Grundprinzipien einsteht – gerade in der heutigen Zeit.

Wie sind deine Gedanken dazu? Mache ich mir zu viele? Zu wenige?

Foto des Autors
Sonja Tornefeld studierte Allgemeine Literaturwissenschaft, Germanistik und Medienwissenschaften. Sie ist Fantasy-Autorin und passionierte Buchliebhaberin, großer Fan von Hobbits, Vampiren, Drachen, Metal und allem Magischen. Sie lebt mit ihrem Mann und vier Kindern in der Nähe des Teutoburger Waldes.

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