Was ist ein Trope? Ich bin auf Instagram zuerst über den Begriff gestolpert, der mir zuvor unbekannt war. Ich war durch mein Studium mit Stoffen und Motiven in der Literatur vertraut, nicht aber mit Tropes, die sich eingefleischte Buchfans wie Zutaten einer Rezepteliste um die Ohren hauen. Auch als Autorin muss ich natürlich die Zutaten kennen, und daher habe ich ein bisschen recherchiert, um der Frage nach den Tropes in Büchern auf den Grund zu gehen. Das Ganze gestaltete sich dann am Ende recht umfangreich, weswegen dies heute der erste von weiteren Artikeln zu diesem Thema ist.
Inhalt
Tropes, Motive, Stoffe: Was ist was und wo liegt der Unterschied?
Es wird rutschig, wenn man das Feld der Stoffe, Motive und Tropes betritt, und nicht selten landet man kopfüber im Klischee. Anfangs war ich ja schon etwas skeptisch gegenüber dem Konzept „Trope“, aber was ist das überhaupt? Und was ist ein Stoff und ein Motiv? Die letzten beiden Begriffe werden allen, die nicht Literaturwissenschaft studiert haben, wahrscheinlich im Kontext Buch unbekannt sein, deshalb kläre ich die Begriffe vorab. Und dann weißt du auch, warum ich anfangs so irritiert von Tropes war ;). Der Begriff „Trope“, der auf Instagram und Booktok kursiert, taucht in der Literaturwissenschaft so nämlich gar nicht auf (zumindest nicht bis vor gut 20 Jahren, als ich noch studiert habe).

Stoffe in der Literatur
Mit Stoff ist in der Literaturwissenschaft ein
„aus dem formgeprägten literarischen Kunstwerk herauslösbare Handlung, Fabel (Plot)“ gemeint, […] eine Abfolge von Ereignissen, die mit bestimmten Personen in spezifisch historischen oder mythologischen Situationen verwirklicht wird.“
Metzler Literatur Lexikon
Hat das jemand verstanden?
Etwas deutlicher wird es hier:
eine Konfiguration von Personen, Handlungen und Problemstellungen, die durch mythische, literarische oder geschichtliche Vorgaben fest umrissen ist, die durch die literarische Tradition fortgeschrieben wird und die dabei historisch bedingte Umdeutungen erfährt.
Metzler Lexikon Literatur- und Kulturtheorie
Aha.
In der englischen, amerikanischen und französischen Literaturwissenschaft wird mehr von „Theme“ gesprochen, und ich glaube, dass diese Bezeichnung für den Anfang leichter ist. Stoffe orientieren sich an historischen oder mythologischen Vorbildern und sind auch immer an sie geknüpft. „Ödipus“ ist zum Beispiel ein Stoff; der „Vater-Sohn-Konflikt“, der Teil des Ödipus-Stoffes ist, ist ein Motiv. Weitere berühmte Stoffe der Literaturgeschichte sind zum Beispiel „Romeo und Julia“ oder „Artus“.
Wir halten in dieser viel zu knappen Beschreibung alltagstauglich fest: Stoffe sind längere Erzählhandlungen, die sich an Mythen, Literatur und Geschichte orientieren.
Stoffe schließen Motive und auch Tropes ein. Ich greife hier etwas vor: Ein Trope zum „Romeo-und-Julia“-Stoff wäre das beliebte „enemies to lovers“. Das Motiv dazu klassifiziert Elisabeth Frenzel, die sich viel damit beschäftigt hat, als „herkunftsbedingten Liebeskonflikt“. Das klingt für Buchwerbung natürlich etwas sperrig ;).

Wenn du dich jetzt für Stoffe interessierst, kann ich dir „Stoffe der Weltliteratur“* von Elisabeth Frenzel empfehlen. Darin sind die wichtigsten Stoffe gesammelt, neben den genannten werden unter anderem „Adam und Eva“ behandelt, „Kaspar Hauser“, „Maria Stuart“ oder „Odysseus“ und viele weitere behandelt. Das sind eigentlich alles bekannte Stoffe, die auch immer wieder auf Theaterbühnen gezeigt werden – oft in einer modernen Umsetzung, weil sie eben universal sind und auch häufig heute noch Gültigkeit besitzen.
Ich habe mir das Frenzel-Buch lange nach meinem Studium, angeschafft, weil ich es schon immer haben wollte, und weil ich es unglaublich spannend finde, in Stoffen vielleicht neue Geschichten zu entdecken. Das Buch gibt es auch gebraucht bei Medimops.*
Kleine Anmerkung dazu: Diese „Universalität“ bezieht sich, das muss man fairerweise sagen, auf die westlich-abendländische Kultur. Ich bin mir ziemlich sicher, dass es z.B. in Afrika ganz andere Stoffe gibt, die hier vollkommen unbekannt sind. Wenn du also auf der Suche nach was ganz anderem bist, kann es helfen, über diese europäisch geprägten Stoffe hinaus zu suchen. Frenzel konzentriert sich auf europäisches Material.
Was ist ein literarisches Motiv?
Ich habe es gerade schon angedeutet: Der „Vater-Sohn-Konflikt“ oder der „Vatermord“ innerhalb des „Ödipus“-Stoffes wäre ein Motiv, oder auch der „herkunftsbedingte Liebeskonflikt“. Stoffe bestehen aus mehreren Motiven.

Ich finde es gar nicht so leicht, Motive vom Trope abzugrenzen, weswegen ich anfangs wohl auch mit dem Begriff „Trope“ Probleme hatte. Für mich waren das Motive, denn teilweise gibt es Überschneidungen und es ist gar nicht so einfach, festzustellen, ob es sich um ein Trope oder Motiv handelt. (Ob das im Alltag wirklich wichtig ist, ist auch nochmal eine andere Frage, die sich jede:r selbst beantworten muss.)
Auch zum Motiv habe ich einen Auszug aus einem literaturwissenschaftlichen Lexikon mitgebracht: Das literarische Motiv ist die
kleinste strukturbildende und bedeutungsvolle Einheit innerhalb eines Textganzen; im engeren Sinne eine durch kulturelle Tradition ausgeprägte und fest umrissene thematische Konstellation (z.B. Inzestmotiv).
Metzler Lexikon Literatur- und Kulturtheorie
Warum die da direkt das Motiv „Inzest“ als Beispiel genommen haben, weiß ich nicht, aber ja, es gibt das als literarisches Motiv. Frenzel widmet dem Inzest, bzw. dem Inzestverbot, in ihrem Werk „Motive der Weltliteratur“* fast 20 Seiten! (Dieses Buch finde ich übrigens noch spannender als das über Stoffe.)
Motive tragen eine Geschichte thematisch und treten z.B. als „Leitmotiv“ auf oder auch als „Nebenmotiv“. Sie sind abstrakter als ein Trope (ich erinnere an das Beispiel „herkunftsbedingter Liebeskonflikt“ = abstraktes Motiv und „enemies to lovers“ = Trope) und hängen ähnlich zusammen wie Stoff und Motiv; z.B. wäre der Trope zum Motiv der „Heldenreise“ der „Auserwählte“.
Auch der Teufelsbund, der Pakt mit dem Teufel, ist ein beliebtes Motiv in der Phantastik. Ein anderes Motiv, das ich sehr gern mag und deshalb hier als Beispiel nenne, ist der „Doppelgänger„. Der taucht oft in Horrorgeschichten auf, gern als finsteres Alter Ego, zum Beispiel bei „Dr. Jekyll and Mr. Hyde“ oder auch im „Picture of Dorian Gray“ oder in Stephen King’s „Stark“. Wenn dir in der Literatur Zwillinge, von denen einer böse ist, begegnet, kannst du recht sicher von einem Doppelgänger sprechen. Spiegelszenen, bei denen sich das Spiegelbild anders verhält, fallen auch unter „Doppelgänger“. Der Doppelgänger muss nicht unbedingt böse sein, aber in düsteren Geschichten macht er natürlich besonders Spaß. „Fight Club“ ist auch ein schönes Beispiel für eine Geschichte mit Doppelgänger-Motiv.
Du siehst, diese Begriffe sind alle miteinander verwandt, aber es macht Spaß, sich mit ihnen zu beschäftigen. Ein weiteres Lieblings-Motiv von mir – wobei ich nicht weiß, ob es vielleicht ein Stoff ist; vielleicht kann es sogar beides sein (bei Frenzel taucht es nicht auf) – ist „Die Schöne und das Biest“. Dieses Paar tritt so häufig in der Fantasy oder im Märchen auf („Der Froschkönig“) auf. Meine liebsten Beispiele sind aus Game of Thrones, wo wir einmal Sansa Stark und The Hound als Schöne-und-Biest-Paar haben und dann in umgedrehter Form bei Jaime Lannister und Brienne of Tarth. Gerade bei dem letzten Paar musste ich doch sehr schmunzeln. Ich mag es sehr, wenn ironisch mit solchen Motiven gebrochen wird ;). In der Werwolfromantasy tritt der Tierbräutigam natürlich häufig auf, und ich persönlich mag es einfach gern, wobei ich es am liebsten mag, wenn mit Stereotypen gebrochen wird.

Tropes in Büchern
„Enemies to lovers“ habe ich schon genannt; das ist wohl eins der beliebtesten Romance-Tropes und, wenn ich das in den Kommentarspalten so sehe, für viele Buchfans schon ein Kaufgrund.
Ich will aber an dieser Stelle gar nicht auf dieses Trope eingehen, sondern nochmal die Abgrenzung zum Motiv „herkunftsbedingter Liebeskonflikt“ schaffen: Das Motiv ist sehr abstrakt und lässt verschiedene Optionen für den Ausgang der Geschichte offen.
Ein Trope wie „Enemies to lovers“ ist viel konkreter und gibt teilweise die Richtung, bzw. die Umsetzung vor: Feinde werden zu Liebenden. Das muss bei dem Motiv „herkunftsbedingter Liebeskonflikt“ nicht sein. Hier könnte es auch in die Richtung „lovers to enemies“ gehen oder ein ganz anderer Konflikt gemeint sein.
Das Trope „only one bed“ würde man wahrscheinlich auch dem Motiv „Liebeskonflikt“ zuordnen, wobei „Liebeskonflikt“ sehr schwammig ist und alles bedeuten kann. Bei „only one bed“, was ja in der Fantasy sehr beliebt ist und ich auch in meinem Buch „George und Deborah“ verwende, ahnen wir, dass es delikat wird; hier geht es weniger um die Richtung, als um die Umsetzung.
Merke: Tropes konkretisieren Motive und geben dabei eine Richtung oder eine Umsetzung der Geschichte vor.
Fazit
Ich hoffe, dir hat dieser kleine Ausflug in die Literaturwissenschaft gefallen? In einem weiteren Artikel werde ich mich konkret mit Tropes beschäftigen. Wenn dich Stoffe oder Motive interessieren, schreibe ich da auch gern etwas mehr zu, schreib es gern in den Kommentar, auch, wenn du Ergänzungen zum Thema hast.
Ich beschäftige mich immer wieder gern mit diesen Themen, weil sie mich oft zu neuen Geschichten oder Figuren inspirieren. Allerdings ist die Klischeefalle nicht weit und als Autor:in sollte man ein Gespür dafür entwickeln, wenn man in diese Falle tappt. Geschichten folgen häufig mehr oder weniger erkennbaren Mustern; die Kunst ist, rechtzeitig mit ihnen zu brechen. Man will ja etwas Neues erschaffen, an das sich Lesende noch lange gern erinnern, und nicht dieselbe Geschichte zum tausendsten Mal wiederholen.
Wenn dir der Artikel gefallen hat, sind vielleicht auch meine weiteren Artikel der Reihe Literaturwissen2Go was für dich ;).
Quellen
Metzler Literatur Lexikon*, herausgegeben von Günther und Irmgard Schweikle, 2., überarb. Aufl., Stuttgart: Metzler 1990.
Metzler Lexikon Literatur- und Kulturtheorie*, herausgegeben von Ansgar Nünning, 3., aktualisierte Aufl., Stuttgart: Metzler 2004.
„Motive der Weltliteratur“* Frenzel, Elisabeth, 6., überarb. Aufl., Stuttgart: Kröner 2008.
Stoffe der Weltliteratur*Frenzel, Elisabeth, 8. Aufl., Stuttgart: Kröner 1992.
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