Zum Vollmond gibt es auf diesem Blog ein Themen-Special, das ich dem Werwolf widme: Er taucht als blutrünstiger Verwandler und Bösewicht in verschiedenen Mythologien auf und beflügelt seit jeher Künstler und Dichter. Er ist nicht nur gespalten zwischen seinen Daseinsformen „Mensch“ und „Wolf„, sondern wird auch sowohl als „Raubtier“ als auch als erotische, gottgleiche Gestalt wahrgenommen. In ihm manifestiert sich eine Ambivalenz von Bewunderung und Angst, die wir ihm seit Jahrhunderten entgegenbringen.
Doch woher kommt eigentlich die Vorstellung von einem Werwolf, bzw. einem Wolfs-Mann? In diesem ersten Teil einer Kulturgeschichte des Werwolfs beschäftige ich mich mit den Ursprüngen des Wolfmythos und seiner Karriere vom Kinderschreck bis zum (romantischen) Liebhaber in der der modernen Literatur.
Inhalt
Der Werwolf: Mythologische Ursprünge und Wolfs-Mythen

Werwölfe, also Mensch-Wolf-Kreaturen, die zum Vollmond ihre Gestalt wandeln, haben ihren Ursprung in zahlreichen mythologischen Traditionen. In meinem Dämonen-Artikel bin ich bereits auf den Werwolf eingegangen:
Der Werwolf (Europa): Der Werwolf verwandelt sich während des Vollmonds in eine wilde und blutrünstige Bestie. Der Vorgang wird als Lykanthropie bezeichnet. Die Vorstellung geht zurück auf die altgriechische Sage von König Lykaon von Arkadien, der sein Kind opferte und von Zeus in einen Wolf verwandelt wurde. Der Werwolf verkörpert die Angst vor der animalischen Seite des Menschen und dem Verlust der Kontrolle über sich selbst.
aus: Dämonen: Ursprung und Mythologie dämonischer Kreaturen.
Symbolisch steht der Wolf für die Nacht, den Winter und der Tod und wird nach Hertz den Erd- und Unterweltgöttern zugeordnet. Er steht auch, da greife ich hier ein wenig vor, für erotische Fantasien, die wir mit ihm ausleben dürfen.
Die Darstellung des Bösen in der Gestalt eines Wolfs findet Spiegelbilder in vielen Religionen und Sagen, wobei dem Wolf auch heilende oder segnende Eigenschaften zugesprochen wurden: So soll ein Wolfsbiss vor bösen Zaubern schützen. Dazu schnitt man den Biss bei einem gerissenen Lamm heraus und räucherte den Biss. Bei den alten Römern war es Brauch, dass eine Braut beim Eintritt ins Haus den Türrahmen mit Wolfsfett bestrich, und das Wolfsfell galt als Heilmittel gegen Trübsinn, Fieber und Epilepsie.

Römische Wölfe: Die Legende von Romulus und Remus
Stichwort: Rom. Eine der ältesten Wolfserzählungen ist die der Gründung der heiligen Stadt. Die Gründungsväter Roms waren die Zwillingsbrüder Romulus und Remus, Söhne der Vestalin Rhea Silvia und dem Gott des Krieges, Mars. Aufgrund einer Prophezeiung sollten die beiden Jungen kurz nach ihrer Geburt getötet werden. Aus Mitleid wurden sie stattdessen ausgesetzt und von einer Wölfin groß gezogen. Später im Leben gründete Romulus, der seinen Bruder Remus erschlug, die Stadt Rom. Mehr über diese Legende und ihre Bedeutung kannst du ausführlich hier nachlesen – ich habe es hier sehr grob zusammengefasst.
Interessant an dieser Geschichte, die kulturell immer wieder Einfluss findet, ist, dass die Kulturen „Mensch“ und „Wolf“ hier zusammen finden. Die Geschichte von Wolf und Mensch in Europa ist eine blutige – bis heute. Seit der Wolf sich wieder in den Wäldern ansiedelt, wird die alte Feindschaft offenbar. Betrachtet man aber die Soziologie der „Großfamilie Wolf“, stößt man auf viele Gemeinsamkeiten: Der Wolf ist ein soziales Wesen, das sich die Aufzucht der Nachkommen aufteilt und in einem Familienverbund über Generationen hinweg lebt.
In der Legende von Romulus und Remus wird diese Gemeinsamkeit deutlich:
So wie junge Wölfe durch das Säugen menschlicher Frauen zu zahmen Haustieren wurden, so finden menschliche Jungen in der Wölfin eine Ersatzmutter, die sie dazu befähigt, den Mythos Roms zu begründen. Der Wolf existiert in der europäischen Zivilisation auf doppelte Art und Weise: am Rande und im Zentrum zugleich.
aus: Wolfsmänner. Zur Geschichte einer schwierigen Figur, S. 11.
Die Vorbilder der Werwölfe – Inspiration für die Literatur
Legenden über Wer-Wölfe gibt es viele – bei Interesse schreibe ich dazu mal einen eigenen Artikel. Interessant ist ein Nekrophilie-und-Nekrosadismus-Fall aus dem 19. Jahrhundert: Sergeant Bertrand. Er grub Leichen aus und vergewaltigte sie (also wenn es Frauenleichen waren). Anschließend zerstückelte er die Leichen, was ihm Befriedigung verschaffte.
Dieser Fall bildet die Grundlage für den Roman „Der Werwolf von Paris“ von Guy Endore* (gebraucht bei Medimops), der 1933 erschien und die Geschichte des Lycanthropen Bertrand erzählt. Die Geschichte verbindet Kannibalismus und Nekrosadimus mit Erotik und auch ein gewisser Blutfetischismus, wie wir ihn vom Vampirismus kennen, wird thematisiert.
Was ist Nekrophilie? Was ist Nekrosadimus?
Unter Nekrophilie wird wörtlich die „Liebe zu Leichen“ verstanden; es bedeutet, Geschlechtsverkehr mit Leichen zu haben. Der Nekrosadist geht noch einen Schritt weiter und zerstückelt die Leiche, wie eben im genannten Fall des Sergeant Bertrand.
Werwolf und Erotik, ein Spiel aus Lust und Angst
Der Werwolf bricht erotische Tabus und lebt eine „bestialische Erotik“ aus – wir sind als Leser:innen fasziniert und abgestoßen vom dem Biest, vom Spiel mit Lust und Angst.

Ich erinnere mich noch gut an ein Seminar mit dem Titel „Märchen vom Tierbräutigam“. Diese erotische Fantasie, Sex mit dem Animalischen zu haben, gab es schon in der Antike – zum Beispiel in der Erzählung von „Amor und Psyche“ – interessant dazu ist dieser Artikel, der die Geschichte dieses Märchens nachzeichnet. Die Struktur dieser Geschichte spiegelt sich in „Die Schöne und das Biest“, das als Motiv allen Werwolf- und auch allen Vampirgeschichten zu eigen ist.
Es scheint, dass diese archaisch anmutende Konstruktion der Biestliebe tief in uns verwurzelt ist – es wundert mich wenig, dass der Werwolf-Liebesroman und auch der erotische Vampirroman wie die Midnight-Breed-Reihe oder Black Dagger erfolgreiche Bestseller sind. Die Figur des Tier- oder Biest-Liebhabers erlaubt es uns, erotische Fantasien auf das „Monster“ zu projizieren.
Ein Beispiel, das speziell für den Werwolf gilt: Durch das Ablegen der Kleidung vor der Verwandlung legt er die Zivilisiertheit ab und zutage tritt die rohe und erotische Männlichkeit. Ich erlaube mir hierzu einen kleinen Textauszug aus meiner eigenen Geschichte, „Der Kuss der Wolfsnacht„:
Byron legte seine Kleidung neben dem Feuerplatz ab, das Mondlicht wirkte elektrisierend auf ihn. Er kostete den Moment aus und warf einen letzten Blick auf sein Motorrad, ehe er sich dem Wolf hingab, der schon den ganzen Tag darauf wartete, freigelassen zu werden.
Tief durchatmend konzentrierte er sich auf die Verwandlung. Ein Summen ergriff seinen Körper und lief durch all seine Muskelfasern und Nervenenden. Er genoss das Knacken seiner Knochen, die sich innerhalb von Sekunden verlängerten, verkürzten und verschoben. Sein Körperschwerpunkt verlagerte sich und ihm wuchs blondes, dichtes Fell am gesamten Körper. Den Schmerz, der die Verwandlung begleitete, nahm er als wohltuende Erlösung wahr. Louis verglich die Transformation gern mit Sex, und auch wenn er selbst den Vergleich nicht ziehen würde, so war er nicht ganz von der Hand zu weisen.aus: Der Kuss der Wolfsnacht von Sonja Tornefeld
Ob uns das beim Schreiben immer bewusst ist? Jein. Ich glaube fest daran, dass Schreiben ein semi-bewusster Prozess ist, aber diese Muster und Strukturen sind so fest in uns verankert, dass wir kaum trennen können, ob etwas wirklich original von uns ist, oder ob wir ein internalisiertes Muster neu vertexten. Mir macht es jedenfalls Spaß, solche Muster zu finden ;).
Übrigens habe ich in „Der Kuss des Mondes“ den Spieß (als Phallussymbol) mal umgedreht und stelle hier implizit die Frage nach dem Potenz-Imperativ, also der Forderung nach einer potenten Männlichkeit, wie der Werwolf sie verkörpert, und gehe der Frage nach, ob denn ein Werwolf immer potent sein muss. In diesem Artikel über Werwölfe und Impotenz gehe ich etwas mehr darauf ein.
Der Werwolf als Liebhaber steht übrigens dem Sukkubus gegenüber, dem ich mich nochmal irgendwann separat widme ;).

Fazit
Der Werwolf fasziniert uns seit Jahrhunderten, und er steht ganz in der Tradition des Tierbräutigams, wie er auch in anderen Mischwesen zutage tritt (Xentauren, oder im Gott Pan und weitere). Sein Ursprung ist nicht allein auf Romulus und Remus zurückzuführen, aber diese Legende ist eine der prominentesten der europäischen Geschichte, weswegen ich sie hier aufgegriffen habe. In weiteren Teilen dieser Reihe über die Mythologie des Werwolfs werden wir sehen, dass der Werwolf auch in anderen Erzählungen überliefert wird. Und dann gibt’s ja noch ein paar „echte“ Werwölfe :o.
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Quellen
Geisenhanslüke, Achim: Wolfsmänner. Zur Geschichte einer schwierigen Figur*. transcript Verlag, Bielefeld 2018.
Hennlein, Elmar: Erotik in der phantastischen Literatur. Die blaue Eule, Essen 1985. (Unibibliotheken!)
Hertz, Wilhelm: Der Werwolf. Über die Werwolfsverwandlung, Verwundbarkeit & Entzauberung*. Bohmeier Verlag, 2. Aufl., 2013.
Schneidewind, Friedhelm: Das Lexikon rund ums Blut*. Lexikon Imprint Verlag, Berlin 1999.
Die Bebilderung dieses Artikels erfolgte zum Teil mit einem KI-Bildgenerator. Seit Ende 2024 erstelle ich keine neuen KI-Bilder mehr. Der Text wurde in klassischer Textarbeit und ohne Zuhilfenahme von KI-Text-Programmen von mir erstellt. Verwendete Quellen und weiterführende Links habe ich am Ende dieses Artikels aufgelistet.
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1 Gedanke zu „Kulturgeschichte des Werwolfs, Teil 1: Ursprung und Erotik“