Werwölfe sind in der modernen Literatur gern Projektionsfläche erotischer Fantasien: Werwolf, Potenz und Männlichkeit sind als Begriffe fast synonym verwendbar. Sie sind starke Typen, potent, beschützend und perfekte Liebhaber. Diese Figur taucht im Dark-Romance-Genre sehr häufig auf, oft als „bad boy“ und nicht selten mit einem (fast) toxischen Besitzanspruch für seinen love interest, üblicherweise die Protagonistin der Geschichten.
Ich lese sowas selbst auch mal ganz gerne und will diese Geschichten, ihre Autor:innen oder gar Leser:innen gar nicht verurteilen. Aber ich habe zunehmend Probleme mit der Aussage dieser Geschichten und wollte selbst etwas anderes schreiben, als ich „Der Kuss des Mondes“ schrieb – zumal ich beobachte, dass wir Männern mit den ganzen Waschbrettbauchstereotypen nicht gerecht werden. Dieses Thema möchte ich im heutigen Blogbeitrag problematisieren: Es geht um Vorstellungen von Männlichkeit und Potenz und das Beispiel des literarischen Werwolfs.
Inhalt
Wann ist ein Mann ein Mann?
Neulich las ich auf Instagram beim Scrollen den Aufruf eines Kollegen, was „wir Frauen“ eigentlich wollen: Wollen wir im Bett gefesselt und verdroschen werden oder brauchen wir die starke Schulter, den Softie?
In beiden Fällen müssen Männer uns ja irgendwas geben. In sexuellem Kontext wird er ja auch als der identifiziert, der „es“ ihr gibt. (An dieser Stelle weise ich darauf hin, dass ich mich hier vornehmlich mit dem Hetero-Mann beschäftige.) Der Feministin in mir sträuben sich übrigens die Haare bei dieser und verwandten Formulierungen, aber es geht mir hier mehr darum, dass Männer offenbar verunsichert darüber sind, ob und was sie überhaupt geben können und was von ihnen gebraucht wird.
Genauso wenig wie man „uns Frauen“ über einen Kamm scheren kann, kann man wohl eine adäquate Antwort auf diese Frage finden. Da sie mir aber häufiger, mehr oder weniger subtil, begegnet, schließe ich daraus, dass viele Männer tatsächlich unsicher über ihre eigene Rolle als Mann sind.
Frauen sind in den letzten Jahrzehnten (zumindest habe ich das so wahrgenommen) mit Volldampf aus ihrer Traditionsrolle ausgebrochen. Wir können und machen alles, probieren neue Rollen aus, nehmen Herausforderungen an. Männer versuchen derweil, sich mit dem Vatersein anzufreunden und mehr im Haushalt zu machen. Aber eigentlich verstehen sie die Welt nicht mehr und wissen auch nicht, was sie machen sollen. (Diese Beobachtung ist natürlich überspitzt formuliert.)
Die schmale Brücke zwischen „sexy“ und „toxisch“
Viele Männer bleiben dabei auf der Strecke, weil – und das ist jetzt eine Mutmaßung – sie vielleicht diese Anpassung deswegen vornehmen, weil sie müssen und nicht, weil in ihnen der Wunsch wäre, sich als Hausmann zu verwirklichen. Sie wissen einfach nicht wohin, weil die Vorbilder fehlen. Gleichzeitig sehen sie ihre Felle davonschwimmen und wissen nicht, wo sie eine neue Vision von Männlichkeit entwickeln sollen, wo doch alles Männliche von großen Teilen der Bevölkerung mittlerweile als „toxisch“ eingestuft wird – ein Begriff, mit dem wir vielleicht wieder vorsichtiger sein sollten.
Ist das Türaufhalten noch ok heutzutage? Darf ein Mann mir in die Jacke helfen oder ist das schon sexistisch?
Werte und Umgangsformen, die einmal selbstverständlich waren, sind es nicht mehr.
Und dann gibt es da noch diese andere Dimension: Ich kenne und erlebe Männer, die mit ihrem Leben nicht klarkommen. Die keinen Zugriff auf ihre eigenen Gefühle finden, die an Depressionen leiden und bindungsunfähig sind. Einer aus meinem Bekanntenkreis wurde eines Morgens tot in seiner Wohnung aufgefunden. Verwahrlost. Er war Mitte 40.
Ich beobachte eine große Verhaltensunsicherheit bei Männern (Ist das Aufhalten der Tür noch ok?). Gleichzeitig leiden Männer oft stark und selten entdeckt an Depressionen. Bei Fußballspielen eskaliert regelmäßig die Gewalt. Von Femiziden will ich gar nicht anfangen: Hier zeigt sich, was wirklich passiert, wenn Dominanz und Gefühle aufeinandertreffen!
Dass dann in erotischer Literatur ausgerechnet der traditionelle, starke, testosterongesteuerte Muskelmann zum Sexidol stilisiert wird, halte ich für problematisch – für Frauen und für Männer.
Was soll das für ein Vorbild sein?
Potenzprobleme und Erektionsstörungen
Diese Fragen und Beobachtungen beschäftigen mich unter anderem deshalb, weil ich Mutter zweier Söhne bin. Meine Überlegungen brachten mich dazu, einen anderen Werwolf zu entwerfen als das omnipotente Alphamännchen, denn, seien wir mal ehrlich, die Potenzfrage spielt in der Frage nach Männlichkeit eine enorme Rolle. Gleichzeitig ist Potenz gar nicht so selbstverständlich, wie so manche Dark Romance-Autorin uns weismachen will. Hier findest du eine Statistik dazu.
7% der 18 bis 25jährigen leiden demnach an Erektionsproblemen. Dieser Prozentsatz steigt mit dem Alter. 9% haben auch in jungen Jahren schon Orgasmusprobleme. Mich hat das ehrlich gesagt überrascht. Ich dachte immer, Orgasmusprobleme seien ein weibliches Thema.
Worauf ich mit dieser Feststellung hinauswill: Es wird zu wenig darüber gesprochen. In der (erotischen) Literatur gibt’s keine impotenten Männer, zumindest ist mir noch keiner begegnet. Auch im Romance-Bereich wüsste ich jetzt nicht, dass dieses Thema da behandelt wird. Bitte schreib mir Buchempfehlungen, wenn dir ein Buch einfällt, das sich dem Thema widmet! Mir fällt nur „The Green Mile“ von Stephen King ein, wobei es da um eine Blasenentzündung ging.
Unsere Gesellschaft glorifiziert vor Testosteron strotzende Muskelmänner, wobei die bitte auch einfühlsam und charmant ein sollen. Als Mutter sehe ich Probleme bei diesen Anforderungen, und ich muss meinem Kollegen, alleinerziehender Vater eines Sohnes, zustimmen, der die These aufstellte, dass Jungen und Männer es in vielen Lebensbereichen schwerer haben als Mädchen.
Dass Männer potent sind und zu sein haben, sehe ich als erschwerendes Problem bei der Männlichkeitskrise. Männer haben sich traditionell wenigstens auf ihre Potenz verlassen können, aber wo die schwindet, wird es schwierig, sich als Mann zu behaupten.
Dass weibliche Körper übersexualisiert sind und dass die Ausbeutung des weiblichen Körpers aufhören muss – ich rede hier nicht nur von Werbung, ich schließe auch Prostitution mit ein – darüber herrscht mittlerweile ein sehr breiter Konsens in der Gesellschaft, und da gibt es große Fortschritte.
Über männliche Körper wird dabei viel zu wenig gesprochen, und das finde ich ziemlich traurig. Ich denke schon, dass eine Auseinandersetzung mit dem männlichen Körper eine Reflexion einleiten könnte, und dass es helfen kann, eine gesunde, realistische Sichtweise auf Männer und auf Männlichkeit zu entwickeln. Es muss doch hier irgendwo ein Mittelmaß zwischen Fitnessfanatismus und depressiver Lethargie geben?
Der Werwolf mit Potenzproblem
Der moderne Werwolf in der Literatur ist ein Alphatier und entspricht genau dem Bild, das uns bei diesem Wort in den Kopf kommt: Groß + stark + sexy + potent = männlich. Er hat außerdem ein dunkles Geheimnis oder leidet an einem inneren Konflikt oder Trauma, das im Lauf der Geschichte von der super hübschen Protagonistin gelöst wird – meist, nachdem er sie aus einer gefährlichen Situation befreit hat.
In der Dark-Romance-Literatur begegnet uns dieser Typ Mann sehr häufig. Er ist nicht immer ein Werwolf, er kann auch ein Vampir oder Millionär sein.
Als ich „Der Kuss des Mondes“ (ab 17.3. kostenlos auf Wattpad) schrieb, wollte ich so weit wie möglich weg davon. Meine Ausgangsfrage war: Was wäre, wenn der Protagonist ein unmännlicher Werwolf ist?
Adrian ist so ein „unmännlicher“ Werwolf: Er wäre gern groß und stark und selbstbewusst, ist es aber nicht. Sein Körper leidet sehr unter der monatlichen Verwandlung, die ihn mit Krämpfen und Schmerzen plagt: Er ist sozusagen impotent und entspricht überhaupt nicht dem Idealbild eines Werwolfs. Dass die Verwandlung, wie er sie erlebt, Ähnlichkeit mit den Begleiterscheinungen der Menstruation aufweist, ist kein Zufall: Er wird dadurch „verweiblicht“ und zusätzlich als Schwächling stigmatisiert.
Das nimmt jetzt natürlich ein Stück Interpretation vorweg, aber mir war es wichtig, diese Gedanken zu artikulieren. Die Geschichte ist auch ein Versuch, dem omnipotenten Werwolf neue Wege des Seins zu ermöglichen – jenseits vom dominanten Alphatier.
Ob das am Ende vollständig gelungen und die Lösung mustergültig ist, müssen andere entscheiden – du, zum Beispiel ;). Ich will mit der Geschichte keinerlei politisches Statement setzen, sondern mehr auf die Thematik hinweisen. Eine einzelne Kurzgeschichte wird außerdem nicht ausreichen, um das Thema literarisch zu verarbeiten. Deshalb taucht es auch in anderen Geschichten von mir auf. Ich wollte hier an dieser Stelle einfach gern zum Nachdenken anregen und bin gespannt auf Rückmeldungen dazu.
Vielleicht hast du ähnliche oder auch komplett andere Beobachtungen gemacht? Ich bin gespannt auf deinen Kommentar.
1 Gedanke zu „Werwolf, Potenz und Männlichkeit: Geht es auch anders?“